Der tolle Hecht

„Ein toller Hecht bist du nicht gerade.“
Zwanzig Minuten und zwei Gläser Rotwein hatte sie für ihre Erkenntnis gebraucht und dafür, dass nichts weiter als ein Mann neben ihr saß. Respekt … Trotzdem – Fischkunde war nicht ihre Stärke. Sonst hätte sie gewusst, dass die tollen Hechte sich im wahren Leben spätestens dann verdrückten, wenn ein Hai vorbeikam. Oder die Realität.
„Viel Glück.“ Sie griff nach ihrer Handtasche, rutschte vom Barhocker und im Spiegel hinter der Bar richtete ein Mann mit kurzen silbergrauen Haaren seine ruhigen Augen auf mich. Ich nickte ihm zu. Wir kannten uns seit sechzig Jahren.
Da, wo er herkam, schätzte man einen Mann nach dem, was er tat, nicht nach dem, was er vorgab zu sein oder zu wollen und er wusste, dass ein Orgasmus nur Sekunden währt, die Erinnerung im Guten wie im Schlechten daran aber ein Leben lang bleibt, und seine Erinnerungen waren ihm wichtig. Er mochte sich selbst und konnte darüber lachen, liebte den Duft von verschwitzter Frauenhaut, mochte schwarzen Tee mit Milch und Kaffee nahm er vorzugsweise intravenös. Humor war ihm am liebsten Black & dry, für seiden schimmerndes Schwarz über weißen Frauenknien hätte er einen Mord begangen, Lustschreie in stiller Nacht waren für ihn die schönste Musik, neben Nightwish und Within Temptation und Al Pacino in: „Im Auftrag des Teufels“ das beste, was Menschen je auf die Leinwand gebannt hatte.
Ich prostete ihm zu. Er wäre wahrscheinlich der tolle Hecht gewesen, den die Schönheit neben mir nicht gefunden hatte. Wenn er es denn gewollt hätte. Vielleicht hätte sie auch nur ein wenig danach suchen müssen …
„Ist es nicht langweilig, mit seinem Spiegelbild zu trinken?“ Der Hocker neben mir hatte wieder eine Besitzerin gefunden. Ein Fitnessstudio wäre an ihr bankrott gegangen und das Leben hatte Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen, doch sie trug sie mit Würde, als wären sie eine Auszeichnung. Kleine Teufelchen tanzten in ihren hellen Augen und um ihren ungeschminkten Mund spielte ein Lächeln.
„Nein, gar nicht,“ erwiderte ich.
„Ganz sicher?“
Nachdenklich drehte ich das Whiskyglas in meiner Hand. Sicher war nur, dass Gott das Lachen und die Liebe erfunden hatte und Luzifer höchstselbst die Lust. Ich schob das Glas über den Tresen und stand auf. „Sicher ist nur eins“, erwiderte ich und reichte ihr den Arm. „Ohne Küssen geht gar nichts. Nicht in dieser Welt und auch nicht in einer anderen, in der ich leben wollte.“
Ich hatte schon immer eine Schwäche für den Teufel. Er ist so menschlich …

 

RHCSo, März 2020