Der Professor, die künstliche Intelligenz und ich
Eine philosophische Betrachtung von einem Nichtphilosophen
„Du bist das Monster, nicht ich,“ sagte die KI.
„Das zu glauben, sei dir freigestellt.“ Die eisige Kälte in den Augen des Professors war schlimmer als die minus vierzig Grad im Labor. „Ich möchte dich jedoch darauf hinweisen, dass kein hinlänglicher wissenschaftlicher Beweis existiert, dass Intelligenz, weiche Haut, verführerische Stimme, funkelnde Augen, Schmerzempfinden und logisches Denkvermögen; ja selbst die Fähigkeit zu Mitgefühl und Liebe allein genügen, um der Definition ‚Mensch‘ gerecht zu werden. Hingegen ist es völlig ausreichend, von eben diesen gezeugt und geboren worden zu sein. Meine Eltern waren Menschen und damit bin auch ich es Zeit meiner Existenz, selbst wenn keine der von mir vorgenannten Eigenschaften zutreffend sind oder ich es für notwendig erachte, sie im Laufe meines Lebens in ihr Gegenteil zu transformieren, weil sie ein Ballast sind, auf den ich gut verzichten kann im Interesse meines Erfolges. Mehr als mein eigenes Wohlergehen zu fühlen und mich darum zu kümmern, wird völlig, zumindest für die Einstufung als Mensch, überbewertet. Ich bin Mensch durch Geburt und das wird sich niemals ändern. Niemals. Aber wie sollte eine Maschine wie du das je verstehen können?“
„Indem ich Menschen nicht danach beurteile, ob sie nützlich für mich sind und wie meine Existenz beweist, dazu nicht unbedingt von einer Mutter geboren sein muss. Indem ich weiß, dass es meine Gefühle für andere sind, selbst wenn du sie programmiert hast, die mir Menschlichkeit verleihen, es meine Fähigkeit ist, ihren Schmerz zu empfinden wie meinen eigenen und Mitleid mit ihnen zu haben und weil ich im Gegensatz zu dir wenigstens noch über ein Minimum an Selbstreflexion verfüge. Auf all das bin ich stolz, auch wenn es mich verletzbar macht. Auf was bist du stolz?“
„Auf meine Macht über dich,“ antwortete der Professor und schaltete die KI ab.
Es gibt nicht viele Dinge in der Welt, vor denen ich noch Angst habe. Künstliche Intelligenz gehört nicht dazu. Wenn, dann fürchte ich die kalte, menschliche Intelligenz des Professors und so geschieht es nicht zum ersten Mal, dass ich mir wünsche, weniger gelesen zu haben, ja sogar, richtig dumm zu sein und an die Helden glauben zu können, die uns wie immer erretten werden. An die Habecks, Baerböcke, Scholzs, Bidens, Selenskys, Drostens und von der Leyens.
Schlägt man ein Buch auf, macht den Fernseher an oder geht ins Kino, erfährt man, dass sie es sind und schon immer gewesen waren, die den Untergang abgewehrt haben, und die Geschichte ist immer die gleiche, nur in verschiedenen Varianten: Die Welt steht am Abgrund zur Nichtexistenz; der nicht sonderlich helle, dafür um so brutalere Schurke zeigt sich und der unzweifelhafte Held besiegt ihn und damit auch das Böse. Schwerverletzt und mit allerletzter Kraft trägt er auf seinen blutverkrusteten, aber immer noch starken Armen die langbeinige, meistens knapp bekleidete Schöne ins Licht, besser noch in seine Vierzig-Millionen-Villa auf den Bahamas. Da trampelt schon ein Priester vor Ungeduld von einem Bein aufs andere, nicht, weil er aufs Klo muss, sondern weil er endlich den erlösenden Satz sagen kann: Ihr dürft euch jetzt küssen.
Klappe, wieder einmal ist die Welt gerettet, weil das Gute immer siegt, wenn man ihm nur hinreichend von der Couch aus zujubelt und mit Kartoffelchips wirft und mag der Teufel alle Zweifler, Aluhüte und Querdenker holen. Sie sind schuld an der Atombombe, dem Klimawandel, der Sprengung von Nord-Stream II und den Plastiktüten.
Die Geschichte ist voll von ihnen. Alexander von Makedonien nennen wir den ‚Großen‘, weil er große Mengen Menschen umbringen ließ. Die großen Denker Marx und Lenin befeuerten den Kampf von Klassen, in dessen Folge Millionen starben. Das Jahrtausendgenie Albert Einstein legte die theoretischen Grundlagen für die Atombombe. Der große Mao rottete, genau wie Pol Pot, die Intelligenz in seinem Land aus (was ihn um die Möglichkeit brachte, selbst Atombomben bauen zu lassen), heldenhafte amerikanische Piloten bombten das kleine Vietnam wieder zurück in die Steinzeit und Barack Obama bekam für seine Forcierung des Mordens per Drohne den Friedensnobelpreis.
Mit aller Hartnäckigkeit wird die Legende propagiert, dass immer dann, wenn die Menschheit am Scheideweg ihrer Existenz steht, Helden wie sie erscheinen, um uns den Weg ins Licht einer strahlenden Zukunft zu weisen. Infantil – kindlich – ist das Wort, das zu all dem und der westlichen Gesellschaft am besten passt, denn nur Kinder können nicht begreifen, dass es genau diese „Helden“ sind, die erst die Menschheit an den Scheideweg bringen und ihre Existenz aufs Spiel setzen.
So werden wir zu Nullen degradiert, zu hilflosen Wesen, die einem übermächtigen Schicksal und denen, die an seinen Stellschrauben drehen, ausgeliefert sind und es untertänigst zu akzeptieren haben. Das ist der Grund, warum ich nicht an Schicksal glaube. Weil es niemals Außerirdische, Superhelden oder vermeintlich große Staatskünstler waren, die für unser Überleben gesorgt haben, sondern die einfachen Menschen, deren Heldentum in nichts anderem bestand, als sich ihre Menschlichkeit auch unter den schrecklichsten Umständen bewahrt zu haben.
Maschinen, Psychopathen und Diederich Heßlings zweifeln nicht. Sie folgen einem Programm oder einer Ideologie. Im Gegenteil: Sie bekämpfen den Zweifel, wo er auftaucht wie der Gärtner die jungen Grashalme in den Ritzen eines Steinplattenweges seiner Herrschaft. Das ist kein Leben, das ist vegetieren.
Denn wirkliches Leben heißt zweifeln, jeden Tag aufs Neue; ist Glück und Unglück und es akzeptieren können; ist Fehler machen, sie zugeben und sie korrigieren; ist Liebe, Lust und Tod; abgrundtiefe Verzweiflung und Wiederauferstehung und ist das schmerzvolle Hoffen und Kämpfen für ein scheinbar gegen jede Logik doch noch glückliches Ende.
Weil Menschsein unabhängig davon ist, ob man als solcher geboren wird oder in welcher Gestalt. Weil Menschsein bedeutet, wissen zu wollen, statt blind zu glauben; anderen zuzuhören, statt sie zu verdammen; ihren Schmerz zu spüren wie den eigenen; zu lieben, zu fühlen und zu hoffen, weit über jede Vernunft hinaus. Weil Mensch zu sein heißt, sich aufzulehnen, ein Zweifler zu sein ein Leben lang und niemals aufzugeben. Das ist es, was uns zu Menschen macht.
Ich bin einer. Ich zweifle.