Kapitel 32: Das Herz der Sterne


Auf der Straße wurde eine Autotür zugeschlagen und Christian öffnete die Augen. Diffuses Grau sickerte durch die Vorhänge ins Zimmer und gab den Möbeln Kontur. Mit allem hatte er gerechnet, aber nicht damit, dass er eines Morgens aufwachen würde und das Erste, was er spürte, die Wärme von Larissas Körper an seiner Seite sein würde.
Sie ruhte halb neben, halb auf ihm und hatte ihren Kopf in seine Halsbeuge gekuschelt. Ihre roten Haare glänzten in dem wenigen Licht, als wären sie aus poliertem Kupfer. Die Decke war irgendwo am Fußende, sie hatten sie nicht gebraucht.
Sein Blick glitt hinüber zum Schreibtisch. Er war jetzt eine Kleiderablage. Ihr Rock lag darauf, dann das seidene Unterkleid, die Strümpfe, und als Letztes der Büstenhalter und ihr Slip; davor standen, sauber ausgerichtet, ihre Pumps. In dieser Reihenfolge hatte sie sich ausgezogen; nahezu bedächtig unter seinem Blick die Knöpfe der Bluse geöffnet, den Metallreißverschluss auf der Rückseite ihres Lederrocks so langsam nach unten gezogen, als würde dieses Geräusch etwas bedeuten. Keine Sekunde hatte sie ihn dabei aus den Augen gelassen und er sie auch nicht. Dann war sie bei ihm gewesen, warm, duftend und verführerisch.
Es war nicht sein erstes Mal gewesen, natürlich nicht und nicht einmal mit einer Frau, die älter war als er. Doch Larissa war anders als jede, der er je zuvor begegnet war und wie selbstverständlich war er davon ausgegangen, dass sie auch in seinem Bett so war, wie sie mit ihm redete: bestimmend und jeden Fehler vermerkend.
Doch irren war männlich. Irgendwann hatte sie mit einem leisen Lachen seine Hände festgehalten und geflüstert: „Hey, ich bin keine Porzellanpuppe, bei der etwas kaputt gehen könnte, wenn du zu fest zufasst.“
„Ich kann dich doch nicht … ich bin kein Tier … ich …“, hatte er gebrummt.
„Mein Liebster, es gibt eine Zeit zum Reden und eine für Gefühle. Die ist jetzt und ich will sie roh und ohne Filter. Den einzigen Fehler, den du machen kannst, hast du schon gemacht, als du mir vor einer Woche die Tür aufgemacht hast. Und jetzt …“
„Und jetzt?“ Er hatte seine Stimme nicht erkannt, so rau war sie gewesen. Niemals hätte er geglaubt, dass sie so reden könnte. Dabei war es nur der Auftakt gewesen. Sie hatte sein Gesicht in ihre heißen Hände genommen. Förmlich geglüht hatten sie und dann hatte sie wie eine läufige Katze gefaucht: „Den Christian da ganz tief in dir, den, den du niemandem zeigst. Den will ich! Lass ihn von der Kette! Jetzt!“

<< >>

„Besonderheiten?“ Ryland Mikkelsen ließ sich auf den Beifahrersitz des Mercedes fallen. Vorsichtig und mit beiden Händen zog er die Tür heran und mit einem kurzen, leisen Ruck zu. Es war kurz nach zwölf Uhr in der Nacht und das Zuschlagen einer Autotür war weit zu hören.
Seine Frage war überflüssig gewesen. Seit sie den Mord an Bengt Ängström unerledigt zu den Akten gelegt und zu dessen Sohn Ruud gewechselt hatten, wusste er, dass er sich auf Wielander verlassen konnte. Wäre etwas gewesen, dann hätte der es entweder selbst erledigt oder wäre davongefahren.
Der verzog dann auch nur kurz die Lippen zu einem schalen Grinsen. „Sie sind zu Hause. Liebesgesäusel im Arbeitszimmer, leider komplett auf Deutsch. Wir hätten einen Dolmetscher mitnehmen sollen. Wieso kann sie Deutsch? Ich denke, sie ist Russin? Mehr war sonst nicht, außer fünf Hunden und elf Katzen.“ Er verzog das Gesicht. „Die zwei großen Ratten habe ich nicht gezählt.“
„Dachte ich mir. Hier sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht. Am Nachmittag hole ich Ängström ab.“
„Dann solltest du besser die Karre nicht wieder so vollqualmen. Sonst bekommt der feine Herr schlechte Laune, weil er den Gestank aus seinem Cashmerepullover nicht rauskriegt. Schon schlimm genug, dass der hier aufkreuzt. Irgendwann wird er sich aus reiner Mord-Lust noch selbst umbringen. Wie viel Millionen hat er? Und dann will er bei einem Feldeinsatz dabei sein? Der ist krank.“
„Oder größenwahnsinnig“, stimmte Mikkelsen ihm zu. „Nach dem Einsatz wechseln wir zu Hakonsen. Der ist berechenbar.“
„Du bist dir sicher, dass Ängström uns so einfach gehen lässt?“
„Wahrscheinlich ist er sogar froh darüber. Wir wissen zu viel aus seiner Vergangenheit. Und dann ist da immer noch Marianna Raikkaanen.“
Wielander nickte. Sie wussten beide eine Menge über Ängströms Machenschaften und seinen pathologischen Frauenhass. Er hatte dafür gesorgt, dass die Tochter der Frau, die ihn zu dem gemacht hatte, der er war, eine perfekte Ausbildung bekommen hatte. Vor ein paar Monaten hatte sie sie beendet. Er hatte sie verschwinden lassen und selbst Mikkelsen und Wielander wussten nicht, wohin. Sie waren sich sicher, dass sie noch lebte und auch, dass es für das Mädchen besser gewesen wäre, tot zu sein, als das Spielzeug Ängströms.
Wielander hätte jetzt aussteigen und noch ein paar Stunden schlafen können, doch er blieb sitzen und Mikkelsen sagte: „Red schon.“
„Ich schlafe schlecht.“
„Nimm eine Tablette. Oder zwei.“
„Gute Idee. Warum bin ich nicht darauf gekommen. Fällt dir sonst noch etwas ein?“
„Erschieß dich. Aber erst, nachdem du die Gegend abgesucht hast. Gott, was für ein Nachtjackenviertel. Ab sieben klappen hier die wohl Bürgersteige hoch. Kein Mensch mehr auf der Straße, Autos fahren hier auch nicht lang und selbst in dem Pub da drüben sind nur drei Leute und es ist Freitagabend. Unglaublich. Schau dir mal die Hinterhöfe an. Ungewöhnliche Autos oder ungewöhnliche Kennzeichen. Einfach alles, was irgendwie nicht in die Gegend passt, aber bleib unsichtbar dabei. Apropos: Besorg uns ein anderes Auto. Das hier fällt zu sehr auf. Ich konnte nicht ahnen, dass die hier noch mit Pferdewagen unterwegs sind.“
„Hast du etwas in der Nase?“
„Nur so ein Gefühl.“
Wielander stieg aus und schloss die Fahrertür genau so leise wie Mikkelsen zuvor. Wie eine Katze schlich er davon, keiner seiner Schritte auf den Steinplatten verursachte auch nur den geringsten Laut.
Mikkelsen öffnete das Handschuhfach und nahm einen schmalen Hefter heraus. Darin stand alles, was Wielander aus Kerstin Wendt im wahrsten Sinne des Wortes herausgequetscht hatte. Auch, dass Christian Oldenburg die Krücke nur benutzte, die sie bei ihm gesehen hatten, obwohl er sie gar nicht brauchte, um nie wieder in etwas hineingezogen zu werden. Mikkelsen machte sich Gedanken, wie diese Verhaltensweise zu seiner Kampfschwimmerausbildung und der unehrenhaften Entlassung passten.
Seite für Seite blätterte er um, obwohl er es nicht hätte tun müssen, weil er jedes Detail davon im Kopf hatte. Ab und an schrieb er Notizen an den Rand. Dann machte er sich noch kleiner, als er ohnehin schon war, zündete sich eine Zigarette an, schloss die Augen und während er das Hörspiel im Kopfhörer genoss, dass gerade einem fulminanten Höhepunkt zustrebte, entwickelte er den Plan für ihr Vorgehen in der nächsten Nacht: Eine Familientragödie, ohne Zweifel. Ein als Doppelmörder bekannter, wenn auch nicht Verurteilter, hatte in einem erneuten Wutanfall seine Geliebte umgebracht und danach sich selbst gerichtet. Das konnte schon einmal passieren, wenn Justitia blind war.

<< >>

„Du denkst schon wieder,“ murmelte sie. Sie schlug die Augen auf und küsste ihn. Ihre Lippen waren so trocken wie seine. „Habe ich dir weh getan?“
„Dazu hast du zu kleine Hände.“ Er drehte sich ein wenig, um sie anschauen zu können.
„Dann bist du mir nicht böse?“
Ihr Lächeln machte sie wieder zu einem jungen Mädchen. Sie hatte ihn geschlagen, als sie die Lust geschüttelt und sie es herausgeschrien hatte. Oder geschlagen und dann war die Lust gekommen – er wusste es nicht mehr so genau, sein Blut war woanders gebraucht worden, nicht im Gehirn. Es war nicht wichtig.
Er strich ihr sanft ein paar Haare aus der Stirn. „Doch. Aber schon länger. Weil du deine Lederhandschuhe nicht ausgezogen hast am ersten Abend. Das hat mich geärgert. Es war … kalt.“
„Du Dummerchen. Das war Selbstschutz. Ein Gendefekt – taktile Hypersensibilität. Hätte ich dich berührt, wäre ich noch in der Nacht über dich hergefallen. Hast du das nicht gespürt?“
Nette Vorstellung, fand er. Sechzig oder siebzig Kilogramm Frau, die über ihn herfielen. Es konnte nur eine Lüge sein, aber sie gefiel ihm. „Ich spüre nichts. Ich bin ein Mann,“ brummte er.
„Das Letzte kann ich bestätigen. Und das Erste …“ Sie schob ein Knie zwischen seine Schenkel und zog mit den Fingernägeln eine feurige Spur auf seiner Brust abwärts. „Und jetzt?“
„Hey, ich denke nicht …“
Ihre Lippen auf seinem Mund stoppten ihn mitten im Satz. Wieder spürte er den Druck des Anhängers ihrer Kette auf seiner Brust. Er war ihm schon gestern Abend aufgefallen.
„Das ist ein Sternenherz.“ Sie richtete sich ein wenig auf.
„Ich habe doch nichts gefragt.“ Das Testosteron tobte noch immer durch seine Adern und es machte seine Stimme rau.
„Ich kann dich hören, auch wenn du nichts sagst.“
„Süße Schwindlerin“
„Sei dir nicht zu sicher.“ Sie gab ihm wieder einen langen Kuss. Dann lachte sie leise. „Es ist eine alte Legende. Nicht nur du kannst Geschichten erfinden. Meine Ur-Ur-Urvorfahren waren Yupik. Das ist ein Volk, das vor langer Zeit am Kap Deschnjow am nördlichen Polarkreis siedelte. Es sind Verwandte der Eskimos und bei Ihnen gibt es viele schöne Geschichten.“
„Märchenstunde?“
„Vielleicht?“
Er schloss die Augen. „Deine Stimme … deine Haut … du … mehr Märchen geht nicht.“
„Mehr geht immer.“
„Es gibt Grenzen,“ stöhnte er.
„Oh ja, lass sie uns finden.“ Leise glucksend, verwuschelte sie seine Haare, gab ihm einen Kuss auf die Nasenspitze und fuhr wieder mit der Hand über seine Brust.
Er hielt sie fest. „Erzähl. Ich möchte deine Stimme hören. Nur für mich.“
„Nur für dich.“ Sie legte ihren Kopf an seine Schulter, blickte wie er zur Decke und dann wurde ihre Stimme so dunkel, dass er sie fast nicht mehr erkannte. „Tikaani, ein junger Jäger, zog eines Tages aus, um Wild zu erbeuten. In den verschneiten Wäldern begegnete ihm ein wunderschönes, junges Mädchen mit roten Haaren, das sich verirrt hatte. Obwohl es bitterkalt war, trug sie nur ein dünnes Kleid und lief barfuß durch den Schnee. Ihr Name war Ahala. Sein Herz entbrannte in tiefer Liebe zu ihr und er nahm sie mit sich. Als er mit Ahala in der Nacht in sein Dorf zurückkehrte, erleuchtete ein mächtiges Feuer den Himmel über ihnen, wie es auch die ältesten Dorfbewohner noch nie gesehen hatten.“
Fasziniert lauschte er ihrer Stimme. Sie konnte so silbern hell lachen, aber auch so rauchig, dass ihm schon Lustschauer über den Rücken rannen, wenn er sie nur hörte. Jetzt klang sie noch anders: So glasklar wie das Rauschen eines Bergbachs und mit einer ungewöhnlichen Intonation, als würde gar nicht sie, sondern eine andere Frau erzählen. Erstaunt öffnete er wieder die Augen, doch es war tatsächlich Larissas Kopf, der an seiner Schulte ruhte und nicht der einer Frau, die so uralt war, wie ihre Stimme schien. „Es wird ein Polarlicht gewesen sein. Vielleicht nach einem besonders heftigen Sonnensturm“, brummte er.
„Psst! Es ist doch eine Legende und da gibt es keine Sonnenstürme, sondern nur Sternenfeuer. Es ist hart dort in der Kälte der Polarregion und die Menschen lebten nur von dem, was die Natur ihnen gab. Mein Ururgroßvater Tikaani liebte meine Ururgroßmutter Ahala über alles, und jedes Mal, wenn er zum Fischen aufs Meer hinausfuhr, dachte er nur an die Heimkehr zu seiner geliebten Frau. Dann kam ein böser Winter, in dem das Volk der Yupik großen Hunger litt. Die Natur war knauserig gewesen mit ihren Gaben und darunter litten nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere. In der Nacht, in der meine Urgroßmutter Mauja geboren wurde, brannte wieder der Himmel über Kap Deschnjow mit der gleichen Heftigkeit wie an dem Tag, als Tikaani Ahala im Wald gefunden hatte. Die Ältesten traten zusammen und beratschlagten. Am nächsten Morgen verboten sie allen, auf das Meer zum Fischfang hinaus zu fahren. Sie sagten, ein Stern sei vom Himmel auf die Erde gefallen und hätte böse Geister ausgespien, die den Geist der Menschen und der Tiere verwirrten. Meine Ururgroßeltern hatten schon vor der Geburt Maujas hungern müssen und das Verbot traf sie hart, aber Tikaani hielt sich an den Befehl der Ältesten. Zwei Tage später war Ahala, die schon bei der Geburt ihrer Tochter nur knapp dem Tode entronnen war, so geschwächt, dass sie keine Milch mehr für Mauja hatte. Tikaani war verzweifelt und beschloss, auf Fischfang zu gehen, obwohl er wusste, dass er dafür aus dem Dorf verjagt werden konnte. Er küsste seine Frau zum Abschied und ging über das Eis auf das Meer hinaus, um in einem Eisloch Fische zu fangen. Viele Stunden musste er laufen, bis er eine offene Stelle fand und es wurde später Abend, bis er mit seinem Fang heimkehrte. Die Ältesten warteten bereits auf ihn, aber nicht um ihn zu bestrafen, weil er das Verbot übertreten hatte, sondern um ihn zu trösten. Ahala hatte durch die Geburt ihrer Tochter und den folgenden Hunger zu viel Kraft verloren und war gestorben. Tikani wollte ohne seine Frau nicht leben, und da er seine Tochter Mauja bei seinem Volk in Sicherheit wusste, wanderte er wieder auf das gefrorene Meer hinaus. Stunde um Stunde, bis ihn seine Füße nicht mehr tragen wollten. Als er eine Höhle fand, die aufragende Eisschollen gebildet hatten, setzte er sich nieder, um dort zu sterben. In den nächsten Stunden fraß sich die Kälte in seinen Körper, er hörte Ahala nach ihm rufen, so deutlich, als stünde sie neben ihm und da wusste er, dass er bereits Fieber hatte und den nächsten Morgen nicht mehr erleben würde. Er schloss die Augen und wollte sie nie mehr öffnen. Plötzlich knirschten Schritte im Schnee, dann umschlangen ihn nackte Arme und ein warmer Körper drängte sich an ihn.
Tikaani riss die Augen auf, doch die Dunkelheit in der Höhle war so tief, dass er nichts erkennen konnte. Ahalas Stimme erklang an seinem Ohr: ‚Warum bist du hier?‘
‚Ich will ohne dich nicht leben‘, antwortete er und spürte, wie sie missbilligend den Kopf schüttelte. ‚Dein Leben gehört nicht dir. Es gehört unserer Tochter, und wenn du es wegwirfst, habe ich den falschen Mann geliebt.‘
‚Aber ohne dich ist die Welt so dunkel‘, antwortete er.
‚Dann mache ich sie dir wieder hell‘, sagte Ahala und er hörte das Lächeln in ihrer Stimme. Gleich darauf fühlte er, wie sie ihm etwas um den Hals legte.
Sie sagte: ‚Es ist ein Sternenherz. Es wird dir dein Leben erhellen, denn ich werde von nun an immer an deiner Seite sein. Wenn du dereinst gehen musst, dann wird sie nach dir unsere Tochter tragen und nach ihr ihre Tochter. Sie alle werden den Menschen wiedersehen, den sie lieben, wenn sie einmal von ihm getrennt werden. Genau, wie auch du mir wiederbegegnen wirst. Aber du darfst niemandem von ihrem Geheimnis erzählen. Dann erlischt ihre Zauberkraft und ich werde nie wieder zu dir kommen können.‘
Sie umarmte ihn noch einmal fest, dann ging sie wieder hinaus ins silberne Mondlicht. Barfuß, nur mit ihrem dünnen Robbenfellkleid, hinein in die tödliche Kälte und verschwand, als wäre sie nie da gewesen. Mein Ururgroßvater schlief ein, und als er am nächsten Morgen aus seinem Fiebertraum erwachte, ging er nach Hause und wurde seiner Tochter ein guter Vater.
Christian brummte: „Er hätte entweder erfroren oder total entkräftet sein müssen.“
Larissa legte ihm ihre duftende Hand auf den Mund. „Psst. Es ist doch nur eine Legende, du unromantischer Bär. Tikaani wurde ein guter Vater und irgendwann Ältester. Aber einmal in jedem Jahr, an dem gleichen Tag, an dem Ahala gestorben war, wanderte er aufs Meer hinaus, und wenn er am nächsten Morgen zurückkehrte, strahlten seine Augen vor Glück. Er wurde irgendwann zu alt, um noch aufs Meer hinauszugehen und wollte die Kette Mauja schenken, aber sie keinen Verschluss besaß, konnte er sie nicht von seinem Hals lösen. Nichts und niemand konnte das. Es war, als sei sie mit ihm verwachsen. Erst als er starb, öffnete sich das Sternenherz von selbst und Mauja konnte es anlegen. Und nach ihr meine Großmutter und meine Mutter und dann ich.“
„Komische Legende. Irgendwie gibt es doch bei sowas immer eine Lehre, die man daraus ziehen kann.“
„Du erkennst sie nur nicht.“
„Hm, vielleicht.“
Grummelnd drehte er sich zur Seite. Sie hatte sich ein wenig aufgerichtet und er betrachtete die Kette aufmerksam. Jedes Glied war ein filigran gearbeiteter, winziger Drache, der sich in seinen Schwanz verbissen hatte. Sie sah alt aus und doch gleichzeitig, als wäre sie gestern erst gekauft worden. Ein kleiner, vielleicht daumennagelgroßer, elfenbeinfarbener Stein bildete den Anhänger und in ihm pulsierte gleichmäßig ein dunkles rotes Licht. Je länger er hinschaute, umso beruhigender wirkte es, fand er. Fast, als passe sein Herzschlag sich der Frequenz des Leuchtens an.
„Sieht aus wie Silber, aber ich habe noch nie Glieder mit so einer seltsamen Form gesehen.“ Er suchte an ihrem zarten Hals nach einem Verschluss in der Kette, aber er fand ihn nicht. Glied für Glied bildete eine makellose Reihe ohne jedwede Erhebung oder Unterbrechung. Stirnrunzelnd blickte er sie an. „Wo ist der Trick? Ein starker Magnet?“
„Kein Trick.“ Sie fuhr wieder mit den Fingernägeln über seine Brust und jeder Gedanke, der noch hätte in ihm aufkeimen können, war wie weggeblasen.
„Das hier ist einer.“ Weiter abwärts ging die Reise ihrer Hand, bis sie sich fest um sein Glied schloss. „Er funktioniert. Siehst du?“

<< >>