Kapitel 1: Der vierte Schlüssel

 

Ostberlin, Sommer 1977

Vier Schlüssel drückte ihm das Leben in die Hand. Der Erste trug den Namen Entscheidung. Er öffnete ihm die Tür zur Zukunft. Der Zweite war die Erinnerung. Mit ihm konnte er in die Vergangenheit reisen. Der Name des dritten Schlüssels lautete Fantasie und er öffnete ihm das Universum. Für den Fall, dass alle Wege versperrt waren, besaß er noch einen vierten Schlüssel. Sein Name war Hoffnung, aber die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass er von trügerischer Natur war.
Durch das halb offene Fenster drang der Klang von Stöckelschuhen auf Pflastersteinen herein, der Junge hob den Kopf von dem Buch, in das er vertieft gewesen war und für dessen Lektüre er mit seinen zwölf Jahren noch nicht alt genug war. Die Zeiger des Reiseweckers auf dem Nachttisch zeigten ihm, dass der neue Tag schon ein paar Minuten alt war und Erschrecken machte sich in seinem schmalen Gesicht breit. Er wusste, dass seine Mutter schimpfen würde, wenn sie ihn noch lesend im Bett vorfand. Noch nicht einmal ausgezogen und gewaschen hatte er sich.
Mit einer Hand fuhr er sich über den Kopf. Die Haare darauf hatten die Farbe reifen Weizens und er trug sie so kurz, wie die Stoppeln auf dem Feld waren, nachdem der Mähdrescher die Ernte eingefahren hatte. Noch vor zwei Wochen hatte er sie schulterlang getragen, so wie es die Mode verlangte, und mit seiner Lockenpracht und seinen warmen braunen Augen ausgesehen wie ein kleiner Engel, der nur kurz seine Flügel verlegt hatte. Doch dann hatte er das Jahrbuch der Statistik in die Finger bekommen und aus den Zahlen darin gefolgert, dass er mindestens ein Jahr seines Lebens mit nichts anderem als Haarpflege vergeuden würde. Am nächsten Tag hatte er sein Sparschwein zertrümmert und sich seine wunderschönen Haare, auf die seine Mutter so stolz war, auf die Länge von einem Zentimeter stutzen lassen. Dass ihn nun seine Großmutter und seine Klassenkameraden nicht mehr an den Haaren ziehen konnten, war ein zusätzlicher Vorteil und er wog den Ärger, den seine Mutter ihm wegen der neuen Frisur gemacht hatte, allemal auf, fand er.
Nachdenklich runzelte er die Stirn. Das Licht auszumachen, sich auszuziehen und zu hoffen, dass sie es nicht bemerkt hatte, war eine Möglichkeit. Immerhin hatte er die Vorhänge vor das Fenster gezogen. Doch es war halbgeöffnet und der Wind bewegte die Vorhänge, was die Wahrscheinlichkeit erhöhte, dass eben doch Licht nach draußen gedrungen war, und das wäre ihr nicht entgangen. Der Schaden war also bereits angerichtet und das Einzige, was ihm blieb, war, ihn zu minimieren: schnell nach unten laufen, ihr die Haustür öffnen und ihr vielleicht sogar ein paar Schritte entgegengehen. Er war sich sicher, dass sie sich darüber gefreut hätte, auch wenn sie es sich nicht hätte anmerken lassen.
Es hätte jedoch nichts an dem Ergebnis geändert: Leseverbot im Zug zurück nach Schwerin und sinnloses aus dem Fenster starren auf eine Landschaft, die ihn längst nicht so sehr interessierte wie der Fortgang der Handlung in dem Buch. Erst recht, wenn sie herausbekam, dass er trotz ihres Verbotes ihr Buch weitergelesen hatte, und das würde sie. Sie bekam immer alles heraus.
Trotzig verkniff er die Lippen, versenkte seine Gedanken wieder in das Geschriebene vor ihm und las den Absatz noch einmal. Seine Großmutter hatte ihm beigebracht, dass die wichtigen Dinge in einem Satz immer vor dem Komma standen und dass es zu dieser Regel nur eine Ausnahme gab: wenn nach dem Komma ein ‚Aber‘ folgte. Dann konnte man alles vergessen, was vor dem ‚Aber‘ war, denn diese vier Buchstaben kehrten die Bedeutung des vorhergehenden Satzes um und in einem solchen zusammengesetzten Satz stand das Wichtige nach dem Komma, immer, ohne Ausnahme.
Ohne dass er es bemerkte, schob er die Zunge zwischen seine Lippen. Wie die einer Schlange züngelte sie auf seiner Oberlippe hin und her, während er darüber nachdachte, wie er den letzten Satz mit seinem ‚Aber‘ zu verstehen hatte.

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„Ich lass mich von Sven scheiden,“ sagte sie, als der Mann ihr, ganz Gentleman, die Wagentür aufhielt. Als hätte sie nicht die Stunden in seinem Bett, Haut an Haut, genug Zeit dafür gehabt. „Christian wächst mir über den Kopf. Für seine zwölf Jahre ist er viel zu erwachsen … macht, was er will … hat seine Gefühle nie unter Kontrolle, aber redet nicht darüber … hört nicht auf mich … Ich werde nicht mehr mit ihm fertig. Er braucht einen Vater, dem er sich anvertrauen kann. Der für ihn da ist, der ihm zuhört. Einen, der mehr als nur einmal im halben Jahr zwischen zwei Aufträgen auf einen Sprung vorbeikommt.“
Wortlos setzte er sich hinter das Lenkrad. Sie ließ den Sicherheitsgurt einrasten, drehte heftig den Kopf zu ihm und fügte hinzu: „Und ich brauche einen Mann, der für mich da ist. Ich brauche Dich. Für immer und nicht nur, wenn ich am Wochenende hier bin.“
Äußerlich gelassen, wie sie es von ihm gewohnt war, lenkte er den Wartburg durch Berlin-Marzahn, vermied die Alleen und nutzte auf dem Weg Richtung Ostbahnhof nur schmale Nebenstraßen. Auch das tat er wie immer und analysierte währenddessen ihre möglichen Bedürfnisse, die als Gründe in Frage kamen für ihre Entscheidung, die ihm plötzlich schien, und ebenso die möglichen Folgen, die daraus für ihn und seine Karriere erwachsen konnten. So hatte man es ihm beigebracht: Beurteilung der Lage, Klarmachen der Aufgabe, Entschluss fassen und dann mit Entschlossenheit handeln.
Sie hatte seine Reaktion sehen wollen in einem Moment, in dem er sich auf etwas anderes konzentrierte, war er sich sicher und ebenso darin, dass er sich keine Blöße gegeben hatte. Es war seine Ausbildung gewesen, die verhindert hatte, dass er in Panik verfallen war. ‚Für immer‘ war eine zu lange Zeit, um für ihn akzeptabel zu sein. Es war sein Beruf, weit vorauszuplanen, doch immer mit der Gewissheit, dass kein Plan die erste Feindberührung überlebte und nur Flexibilität und die schnelle Reaktion auf geänderte Umstände die Erreichung des angestrebten Ziels garantieren konnten.
Seine und ihre Ziele lagen so weit auseinander wie der Pole der Erde. Nicht, dass er es ihr jemals gegenüber erwähnt hätte. Dunkelheit ist nur die Abwesenheit von Licht, Finsternis ist das Fehlen von Liebe, hatte sie in der ersten Nacht gesagt, vielleicht als Entschuldigung dafür, dass sie sich in seine starken Arme hatte fallen lassen. Er hatte es gehört und mit einem spöttischen Lächeln, das sie in der Dunkelheit – sie hätte es Finsternis genannt – nicht hatte sehen können, wieder ad acta gelegt. Man warf Äpfel und Birnen nicht in den gleichen Topf, das Ergebnis war nichts weiter als Mus. Man tat das genau so wenig, wie man eine Ehe aufkündigte, um danach wieder eine mit dem bisherigen Liebhaber einzugehen. Wenigstens nicht, wenn man Verstand hatte. Auch dabei kam nur Mist heraus.
„Habe ich dich jetzt überfahren?“ Ein kleines Zittern der Unsicherheit war in ihrer Stimme. Ein anderer hätte es vielleicht überhört. Er nicht. Er hörte alles, auch das, was ungesagt blieb. Auch das war ein Teil seiner Ausbildung gewesen.
„Sehe ich so aus?“
Sie schüttelte den Kopf, dass ihre blonden Haare wie ein Kranz um ihren Kopf flogen. „Ich wollte erst deine Reaktion abwarten.“ Sie nestelte an ihrer schwarzen Handtasche herum.
Sie hat Angst vor ihrer eigenen Entscheidung, aber nicht genug, um von ihrem Vorhaben Abstand zu nehmen, konstatierte er für sich. Selbst, wenn er sie ihr jetzt ausreden könnte, würde sie doch latent in ihrem Unterbewusstsein arbeiten.
Er beschloss, sie zu beruhigen. „Dann solltest du es alsbald ins Auge fassen, damit klare Verhältnisse herrschen und wir für unsere Zukunft planen können.“
„Ich dachte …“ Sie klappte die Handtasche auf, holte ein Taschentuch hervor, wischte sich Feuchtigkeit aus einem Augenwinkel. „Ich dachte nicht, dass du das so einfach hinnehmen würdest.“
„Warum denn nicht?“ Beruhigend lächelte er zu ihr hinüber, berührte ihr Knie, drückte es, dann legte er die Hand wieder auf das Lenkrad. Er nutzte immer beide Hände zum Fahren. Sicherheit war sein Beruf.
Eine Querstraße vor der Wohnung, in der sie ein Zimmer für sich und ihren Sohn gemietet hatte, stellte er den Wartburg ab. Auch wie immer. Statt ihr seinen üblichen Abschiedskuss über die Gangschaltung hinweg zu geben, stieg er aus und öffnete ihr die Beifahrertür. Am nahen Ostbahnhof hörte er eine alte Dampflok pfeifen und fühlte einen pelzigen Geschmack im Mund. Es konnte nur an der Luft liegen. Der leichte Wind wehte Rauchgeruch herüber. Er mischte sich mit den Ausdünstungen von Blut aus der Abdeckerei ein paar Straßen weiter und auch dem Mief aus den vom Wochenende vollen Mülltonnen am Straßenrand. Es war eine ganz normale Sonntagnacht im Ostberlin des Jahres neunzehnhundertsiebenundsiebzig.
Sie blickte vom Sitz hoch zu ihm. „Was ist denn mit dir los? Ist dir doch der Schreck in die Glieder gefahren?“
Leise lachte er. „Ich freue mich nur. Ich hätte mich nie getraut, dir das vorzuschlagen. Ich bringe dich nach Hause. Auch in Ostberlin gibt es böse Menschen. Mehr, als die meisten glauben.“
Ein Schatten flog über ihr Gesicht, nur einen Sekundenbruchteil, dann zog sie sich an seiner Hand aus dem Fahrersitz. Er drückte hinter ihr leise die Beifahrertür zu und schloss den Wagen ab.
„Du musst es ja wissen,“ murmelte sie.
„Wohl wahr.“ Er griff nach ihrer Hand. Jedes Mal, wenn einer der Absätze ihrer Stöckelschuhe auf einem der rundköpfigen Steine des wie mit Katzenbuckeln gepflasterten Bürgersteig aufsetzte, gab es ein beschwingtes klack, das in der nächtlichen Stille die ganze Straße entlang zu hören war. Hingegen waren seine Schritte so lautlos, als ginge sie alleine hier und er wäre nichts weiter als ein körperloser Schatten.
Sie legte ihren Kopf zärtlich an seine Schulter. „Willst du wirklich mitkommen? Christian liest bestimmt noch und denkt, ich weiß das nicht.“ Glucksend lachte sie und viel Zärtlichkeit schwang darin mit. „Er wird dich sehen und dann kannst du nichts mehr rückgängig machen.“
Etwas schepperte, ein schwarzer Schatten huschte vorbei, kaum zu erkennen in der Dunkelheit. Sie klammerte sich fester an ihn.
„Nur eine Ratte“, beruhigte er sie. „Die Tonnen sind voll. Wenn du dann nicht mehr nur alle paar Wochen hier bist, suchen wir dir eine vernünftige Wohnung. In einer besseren Gegend.“
„Uns. Mich gibt es nicht alleine.“ Sie drückte seinen Arm.
„Natürlich.“ Er ärgerte sich über seinen Lapsus.
„Ein paar heile Straßenlaternen mehr würden mir schon reichen“, stellte sie trocken fest. „Es gibt hier Stellen, an denen kannst du die Hand vor Augen nicht sehen.“
Vor der Bushaltestelle zwei Häuser vor ihrer Wohnung blieb er stehen. „Weißt du noch?“, fragte er mit rauer Stimme. Testosteron machte das, Adrenalin auch. Sie konnte es nur falsch verstehen. Sie war nicht dumm. Genau das war sein Problem mit ihr.
„Und ob … hier hast du mich das erste Mal geküsst, als du mich abgeholt hast. Und als du mich zurückgebracht hast, wie heute Nacht, haben wir hier … im Stehen …“
Ihr Lachen schallte die schmale Straße entlang, brandete wie eine Woge gegen die lichtlosen Fensterscheiben der Häuser und Karosserien der wenigen Wartburgs und Trabbis am Straßenrand. Er warf einen schnellen Blick um sich. Alles war totenstill. „Komm!“, hauchte er und drängte sie in die Bushaltestelle.
„Oh mein Gott … was tust du? Wir sind doch gleich bei mir …“ Sie wehrte sich nicht sehr.
„Nein, hier. Es hat etwas so … Verruchtes.“ Billiges, angerostetes Stahlblech an drei Seiten, von denen in dicken Fladen die Farbe abblätterte, Wellblech auf dem Dach und darunter Dunkelheit. Widerstandslos ließ sie sich von ihm in eine Ecke drängen. Er stellte sich hinter sie und presste sie an sich.
„Du Ferkel,“ flüsterte sie. Gurrend zog sie sich Strumpfhose und Schlüpfer in die Kniekehlen, dann den Rock. Er spürte, wie voller Ungeduld und brodelnder Lust ihren Po gegen seinen Unterleib drückte. „Mach schon!“
Ihr den rechten Arm um den Oberkörper legend, hauchte er einen Kuss in ihren zarten Nacken, eine sentimentale Geste, über die er sich selbst wunderte. Der Rest war eine rein mechanische Tätigkeit: Mit der linken Hand verschloss er ihr Mund und Nase, sein rechter Arm fesselte ihre Oberarme und presste über ihren Brüsten ihren Brustkorb zusammen. Dann überließ er sich dem brodelnden Adrenalinstrom in seinem Körper, fast einhundert voll austrainierte Kilogramm Mann gegen nicht einmal sechzig zarter Weiblichkeit.
Sie versuchte, zu schreien, mühelos erstickte seine Hand jeden Laut. Sie zerrte an seinem Arm – genau so gut hätte sie an einer Eisenbahnschiene zerren können. Sie trat auf seinen Fuß, er hob sie vom Boden. Mit einem hässlichen Knacken barst einer ihrer Wangenknochen unter dem Druck seiner Hand, noch etwas knackte und ihm schien, es müsste die ganze Straße entlang zu hören sein. Ihre instinktive Art, sich zu wehren, amüsierte ihn fast.
Als sie schließlich so schlaff, wie nur ein toter menschlicher Körper sein kann, in seinen Armen hing, atmete er nicht einmal wesentlich schneller. Er ließ sie auf die morschen Holzlatten der Bank sinken und betrachtete ihre zusammengesunkene Gestalt. Was für eine Verschwendung, dachte er ärgerlich. Durch einen einzigen Satz von ihr war sein Begehren so endgültig verflogen, dass er meinte, nie wieder eine Frau besteigen zu können. Nicht einmal eine Erektion hatte er noch bekommen, als ihr zuckender Po sich an seinem Penis gerieben hatte, und er fragte sich, was er an ihr so erregend gefunden hatte, dass er für die Nächte mit ihr seine Karriere riskiert hatte.
Mit einer Hand drückte er ihren Oberkörper gegen die Rückwand der Haltestelle, zerriss ihr die Strumpfhose und den Slip und fetzte ihr Bluse und Büstenhalter vom Körper. Sorgsam achtete er darauf, keine Kratzer mit den Fingernägeln auf ihrer zarten Haut zu verursachen. Ihr Leib fiel von der Bank auf den Boden, nicht mehr als ein totes Ding, das immerhin noch ein Signal aussenden konnte: In Berlin, dem Aushängeschild der Deutschen Demokratischen Republik, lauerten Gefahren, die man nicht so einfach auf die leichte Schulter nehmen durfte. Was den Bürgern fehlte, war Sicherheit, mehr Sicherheit. Deshalb hatte er sie auch auf diese Weise getötet.
Er trat an den Rand der Bushaltestelle, so, dass er noch durch das Dach und die Seitenwände gedeckt war, und prüfte mit schnellen Blicken die Straße und die Fenster. Nur in einem halb geöffneten Fenster, zwei Häuser weiter, sah er noch Licht durch die Vorhänge schimmern. Es war die Wohnung, in der Melanie Oldenburg ein Zimmer für das Wochenende gemietet hatte. Konzentriert schaute er hinauf, doch nichts rührte sich hinter der Gardine.
Gelassen und lautlos schritt er zu seinem Wagen und rekapitulierte dabei sein Handeln. Einen Fehler fand er nicht. Er wusste, dass man in der konspirativen Wohnung, in der er sich mit ihr getroffen hatte, keine verwertbaren Spuren finden würde. Er war nicht der Einzige, der sie für seine Treffen benutzte. Genau genommen ging es in ihr zu wie in einem Taubenschlag und schon morgen würde dort ein anderes Treffen stattfinden. Sollte man je ihre Spuren bis in diese Wohnung zurückverfolgen, so würde es unmöglich sein, aus der Vielzahl der dortigen unterschiedlichen Fingerabdrücke auf ihn zu schließen.
Dunkelheit ist die Abwesenheit von Licht. Finsternis ist das Fehlen von Liebe. Nun, das war dann eben so, dachte er. Vor langer Zeit hatte er sich für die Dunkelheit entschieden und er erinnerte sich nicht an einen einzigen Tag, an dem er diesen Entschluss bereut hatte.

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Die Schritte draußen waren schon eine ganze Weile verstummt. Der Junge hatte nicht gehört, wie seine Mutter den Schlüssel in die Haustür gesteckt hatte. Er schlussfolgerte, dass sie jetzt unter dem Fenster oder auf der Straßenseite gegenüber stand und wütend zu ihm hinaufsah. Trotzdem würde sie ihn am nächsten Morgen mit einem Lächeln aus dem Bett scheuchen, damit sie den Zug nach Schwerin nicht verpassten, aber die Traurigkeit in ihren Augen würde wieder ein wenig größer geworden sein.
Wie mit Flammenzeichen geschrieben sah er das ‚Aber‘ in dem, was er eben gedacht hatte. Das Wichtige kam immer danach und obwohl es warm war im Zimmer, fröstelte ihn. Er wollte seine Mutter nicht traurig sehen. Wieder blickte er zur Uhr, dann zu seinen Schuhen und plötzlich hatte er es eilig. Er musste die Arme seiner Mutter um sich spüren, ihr das sagen, was er fühlte und ihr schon viel zu lange nicht mehr gesagt hatte: Sei nicht böse, Mama. Ich hab dich doch lieb.
Er sprang auf und schlüpfte in seine Schuhe. Im Vorbeigehen warf er einen letzten Blick ins Buch. Denn Hoffnung ohne Zeit, die sie braucht für ihre Erfüllung, ist wie ein Baum ohne Wasser und Zeit ohne Hoffnung ist ein finsterer Kerker, las er. So sind sie Liebende, die Zeit und die Hoffnung, alleine bedeutungslos, gemeinsam unbesiegbar.