Auf der Suche nach Vernunft

Teil I: Der Affe, der Knüppel und die Kernphysik

Die Geschichte des Menschen begann, als der erste Affe einen Knüppel in die Hand nahm und sich über die Tiere erhob. Er nannte es das Recht des Stärkeren. Aus seiner Fähigkeit, es anzuwenden und sich von denen ohne Knüppel wählen zu lassen, schloss er, dass er Intelligenz besitze. Noch immer behauptet er das, obwohl von dem Knüppel, den er seitdem niemals mehr aus der Hand gelegt hat, das Blut seiner eigenen Art trieft. Ihn zu benutzen, nennt er Verteidigung von Freiheit und Demokratie und führt beide ständig im Munde als einen weiteren Beweis seiner Intelligenz. Er lädt seine Autos an der Steckdose, sein Gehirn am Fernseher und schickt Raumschiffe ins All, um nach außerirdischer Vernunft zu suchen. Vielleicht, weil Intelligenz zu besitzen, nicht unbedingt bedeutet, auch mit Vernunft gesegnet zu sein.
Die Geschichte des Universums ist einige Milliarden Jahre älter als die der Affen auf der Erde. Sie beginnt mit dem Urknall und der Entstehung von Energie, aus der im Laufe der Zeit Materie wurde, wie wir sie heute kennen: Planeten, Sterne, Gasnebel, Meteore, Asteroiden, die wiederum alle aus einzelnen Elementen und ihren Verbindungen bestehen, aus denen die Nachfahren der Affen dann Kühlschränke, Elektroautos, Kondome, Vibratoren und das Grundgesetz erschaffen haben. Es war der Mann mit dem wüsten Haarschnitt, Albert Einstein, der im Jahr 1905 die wohl bekannteste Formel aller Zeiten für diesen universellen Zusammenhang fand: E = m * c2.
Danach sind Energie und Materie die zwei Seiten nur einer Medaille, die ineinander umgewandelt werden können. Bereits unsere Vorfahren machten sich das zu Nutze, als sie das erste Feuer entzündeten. Alles, was wir danach entwickelt haben bis hin zum Elektroauto, ist nichts anderes als eine dieser beiden Medaillenseiten: Umwandlung von Materie in Energie. Den umgekehrten Prozess – Umwandlung von Energie in Materie – beherrschen wir nicht. Die Menge an Energie, die selbst für die Erschaffung eines einzigen Streichholzes aus eben nichts als Energie notwendig wäre, sprengt jedes menschliche Vorstellungsvermögen. Übrigens kann die Energie, die wir so erzeugen, nach dem ersten Hauptsatz der Wärmelehre nur von einer Form in eine andere umgewandelt, aber nicht geschaffen oder vernichtet werden, ebenso wenig, wie sie auch nicht gewendet werden kann wie ein Hals, eine Meinung oder eine Fahne nach dem Wind.
Bitte stellen Sie es sich vor, dieses Streichholz. Ein Baum hat den Rohstoff aus reinem Sonnenlicht mit ein paar Zutaten aus der Erde erzeugt, womit die irdische Natur jeden Tag aufs Neue beweist, um wie viel intelligenter sie ist als die gesamte Menschheit. Mit seinem einen Gramm ist es so leicht, dass Sie sein Gewicht nicht einmal auf Ihrer Handfläche spüren. Doch es ist ein Killer!
Sie zünden es an, es brennt einige Sekunden, die Wärme, die erzeugt wird, ist eher bescheiden, von der Strahlung gar nicht zu reden, und das, was übrig bleibt, ist ein verkohltes Stäbchen. Nicht sehr beeindruckend, oder? Das liegt daran, dass es nur ein chemischer Prozess war, der nach atomaren Maßstäben extrem langsam abgelaufen ist und darum nur ein winziger Bruchteil der im Holz gespeicherten Energie freigegeben wurde. Wäre jedes Atom dieses einen Gramms Masse in einem einzigen Augenblick vollständig umgewandelt worden, so wäre dabei so viel Energie frei geworden, wie bei der Explosion von fünfhundert mit TNT (herkömmlicher chemischer Sprengstoff) voll beladenen Sattelschleppern. Damit hätten Sie nicht nur sich selbst umgebracht, sondern auch alle Menschen, die in Ihrer Stadt leben. Mit einem einzigen Streichholz, im Bruchteil einer Sekunde …
Es war besagtes Genie Einstein, das mit seiner Formel den Menschen diese Büchse der Pandora geöffnet hat, und es waren Niels Bohr, Enrico Fermi und Robert Oppenheimer, die als Erste aus ihr den ultimativen Feuerball schufen: Die Atombombe mit ihrer ungeheuren Vernichtungskraft. Doch selbst als die damaligen Bomben „Little Boy“ und „Fat Man“ im Auftrag der amerikanischen Regierung in Hiroshima und Nagasaki in einer Sekunde Hunderttausende Menschen im atomaren Feuer verglühten, wurde dabei nur ein geringer Teil der tatsächlich in der Masse dieser Bomben vorhandenen Energie freigesetzt. „Little Boy“ wog zwar nur vier Tonnen und hätte locker unter Ihren Carport gepasst, doch die in ihr in Form von Materie vorhandene Energie hatte das Äquivalent von 86 Milliarden Tonnen TNT. Wäre sie freigesetzt worden, würden wir heute nicht mehr über Japan, Teile von China und Ostrussland sprechen: Sie wären einfach nur verdampft.
Wurde die Explosionskraft von Atombomben, die nach dem Kernspaltungsprinzip funktionierten, in den vierziger Jahren noch mit dem Äquivalent von Kilotonnen TNT (Kilotonnen, KT) gemessen, musste nach der Erfindung der Kernfusionsbombe 1952 eine Dimension höher gegriffen werden: Millionen Tonnen TNT (Megatonnen, MT), da diese Waffen ein, grob geschätzt, tausendmal höheres Vernichtungspotenzial besaßen als Kernspaltungsbomben.
Selbst das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange. Wir wären nicht Menschen, wenn wir nicht versuchen würden, die Möglichkeiten unserer eigenen Vernichtung zu perfektionieren. In verschiedenen Laboratorien auf dem gesamten Erdball wird versucht, eine Materie-Antimaterie-Reaktion in den Griff zu bekommen, bei der beim Aufeinandertreffen von Materie und Antimaterie fast einhundert Prozent der Masse in Energie umgewandelt werden. Das Ergebnis würde in etwa dem entsprechen, was zwischen Amber Heard und Johnny Depp vor Gericht geschah: Nichts danach ist noch so, wie es einmal war. Die Masse einer Streichholzschachtel aus Antimaterie, die mit ihrem Äquivalent aus Materie in Kontakt kommt, würde genügen, Japan für immer im Pazifik zu versenken. Es macht übrigens keinen Unterschied, falls Sie jetzt darüber nachdenken, in Zukunft nur noch Feuerzeuge zu benutzen, wirklich nicht.
Das bis hierhin Gesagte war noch vor fünfzig Jahren Unterrichtsstoff in der sogenannten „Polytechnischen Oberschule“, die jedes Schulkind in der DDR durchlief, in der neunten und zehnten Klasse und sollte also Allgemeinwissen sein. Der gegenwärtige Zustand der Welt zeigt, dass das offenbar nicht mehr der Fall ist. Wirkliche Bildung, vorzugsweise die naturwissenschaftlichen Fächer, wird durch Genderlehre und durch „irgendwas Soziales“ ersetzt oder wie in einigen amerikanischen Schulen, für die Addition von eins und eins auch ein anderes Ergebnis als zwei zuzulassen, um auch die, die nicht denken können oder wollen, nicht zu benachteiligen. So steuert die Menschheit auch ohne den dritten Weltkrieg auf die intellektuelle Steinzeit zu. Allerdings: Wer nicht eins plus eins korrekt zusammenzählen kann oder nicht weiß, ob er Männlein oder Weiblein ist, kann auch keine Atombomben mehr bauen.

Teil II: Was man aus Hollywoodfilmen lernen kann

Mit Filmen wie „Terminator“, „Bladerunner“, „Oblivion“ und anderen Dystopien präsentiert Hollywood Bilder einer Zukunft, in der die Guten nicht nur überleben, sondern immer gewinnen und formt damit ein Bewusstsein bei Milliarden Zuschauern, dass zwischen Hollywood-Fiktion und der Realität nicht mehr unterscheiden kann.
Folgt man diesen Bildern, leben wir in einer letztendlich sicheren Welt. Der amerikanische Präsident sagt, wo es langgeht. Nicht immer tut er das öffentlich, manchmal befiehlt er auch einfach andere Präsidenten zu sich und niemand erfährt, welche Weisung er hinter verschlossenen Türen ausgegeben hat. Tag und Nacht rennt ihm jemand mit dem Laptop mit den Atomcodes hinterher, für dessen Aktivierung man immer eine zweite Person – vorzugsweise einen General – benötigt, damit der Präsident den Regierungsoberhäuptern, die ihm nicht zuhören wollen, jederzeit drohen kann, den Laptop aufzuklappen. Die Codes dafür wurden zwar schon einige Male gestohlen, meistens durch die bösen Russen, aber immer rechtzeitig durch den Einsatz von FBI, NSA, CIA und der Heimatschutzbehörde, die unsere Freiheit tagtäglich sichern, wiederbeschafft.
Doch bei aller selbstlosen Aufopferung der amerikanischen und britischen Geheimdienste ist trotzdem nicht ganz auszuschließen, dass irgendwelche in dunklen Höhlen lebenden Terroristen oder Zeitreisende dem amerikanischen Präsidenten die Atomcodes stehlen, sich aus einer ihrer vielen Höhlen oder der Zukunft mit Hightech ins Pentagon hacken und den dritten Weltkrieg entfesseln. Doch die Überlebenden bauen nach dessen Ende eine neue und selbstverständlich bessere Welt auf.
In die gleiche Kerbe schlagen derzeit ebenfalls die sog. Mainstreammedien und die Antworten deutscher und westlicher Politiker auf die Fragen nach der Gefahr atomarer Vernichtung. Überspitzt lassen sich Ihre Aussagen zu diesem Thema wie folgt zusammenfassen: Selbst deutsche Raketen auf Moskau würden nicht zum dritten Weltkrieg führen und wenn doch, ist der nicht so schlimm wie Corona, der überzogene Dispo, die Gefahr von Rechts, im falschen Körper mit dem falschen Geschlecht zu leben, der Klimawandel und dass der Russe die Ukraine besiegt und die dort herrschende Freiheit und Demokratie zerstört. So wird eine Einstellung geformt, die die Realität komplett ignoriert oder sie auf Hollywood-Format reduziert. Unterstützt wird das durch die Tatsache, dass das menschliche Bewusstsein nicht in der Lage ist, sich vorzustellen, dass einige tausend Kilometer entfernt eine Rakete startet und es nur Minuten später aufhört zu existieren. Einfach so.
Die Realität ist eine andere als die, die Hollywood in die Köpfe der Menschen pflanzt. Generell wird davon ausgegangen, dass derjenige, der seine Raketen als Erster abfeuert, als zweiter stirbt. Der Grund ist recht einfach: Der Orbit um unsere Erde ist mittlerweile so vollgeparkt mit Überwachungssatelliten, dass man – natürlich im Raumanzug – da oben zu Fuß einmal rund um die Erde gehen kann, indem man von einem Spionagesatelliten zum nächsten springt. Bei einigen sollte man nicht zu fest auftreten, weil es nicht ausgeschlossen sein könnte, dass einer davon ein paar kinetische Geschosse auf vorher einprogrammierte Ziele abfeuert. Aber das ist eine andere Geschichte, leider auch über moderne Waffentechnologie.
Jedenfalls wird jedes, wirklich jedes Abfeuern einer Rakete auf der Erde erfasst und an die strategischen Kommandozentralen weitergeleitet. Da es dann um Sekunden gehen kann, entscheiden nicht mehr Menschen, sondern spezielle Computerprogramme, die genau zu diesem Zweck entwickelt wurden. Diese Programme irren sich nie und sind mindestens so einhundertzwanzig-prozentig zuverlässig wie die neue KI von Google, Wikipedia und die Deutsche Bahn.
Diese Kommandozentralen sind so gut geschützt, dass sie auch nach einem ersten Angriff noch handlungsfähig sind. Ein Gegenschlag erfolgt in jedem Fall, selbst, wenn kein Mensch mehr da ist, einen ominösen roten Knopf zu drücken. Das ist insofern wichtig, als Russland und wahrscheinlich auch die USA über kernwaffentragende Torpedos mit extremer Reichweite verfügen, die bei ihrem Abschuss unter Wasser durch Satelliten nicht geortet werden können und ein Gegenschlag deshalb erst nach der Detonation eines solchen Torpedos möglich ist.
Kernwaffen existieren in vielen Größen, vom Westentaschen- über Artillerieformat bis hin zur interkontinentalen strategischen Rakete mit Mehrfachsprengköpfen, die unabhängig voneinander mehrere Städte gleichzeitig angreifen kann. Sie können aus unterirdischen Bunkern, von mobilen Startrampen, von Flugzeugen und von getauchten strategischen Unterseebooten abgefeuert werden. Es gehört übrigens nicht viel Phantasie dazu, sich auszumalen, wo sich im Moment die russischen, britischen und amerikanischen kernwaffentragenden U-Boote befinden. Dass sie gegenwärtig in ihren Heimathäfen herumdümpeln und die Besatzungen es sich bei ihren Familien gemütlich machen, ist eher unwahrscheinlich.
Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges wurden über Deutschland rund zwei Millionen Tonnen Bomben abgeworfen. In heutige Maßstäbe umgerechnet, entspricht das insgesamt drei Millionen Tonnen (Megatonnen, MT) TNT. Nur ein einziges modernes US-Atom-U-Boot, bestückt mit 48 Trident-Raketen, kann alleine mehr als das Zehnfache an Zerstörung anrichten wie alle Bomben im Zweiten Weltkrieg auf Deutschland zusammen angerichtet haben, eine russische SS-18 mehr als das Zweifache. Die Sprengkraft des Arsenals aller neun Atomwaffenmächte (13400 Atomwaffen) beträgt aktuell mehr als das Zweitausendfünfhundertfache aller im Zweiten Weltkrieg abgeworfenen Bomben. Gut 4.000 davon sind sofort einsatzfähig, geschätzte 1.800 davon in ständiger Alarmbereitschaft, können binnen Sekunden starten und ihr Ziel innerhalb weniger Minuten erreichen.
Die größte von Menschen je gezündete thermonukleare Bombe trug den Namen „Tsar“ und hatte eine geschätzte Sprengkraft von fünfzig Millionen Tonnen TNT. Sie wurde am 30. Oktober 1961 auf der Insel Nowaja Semlja zur Detonation gebracht. Die Explosion fand in einer Höhe von etwa 4000 m statt. Trotz bewölkten Himmels war die Wärmestrahlung noch in 270 km Entfernung spürbar und der Blitz in 1000 km Entfernung sichtbar. Selbst in Norwegen und Finnland zerbarsten noch Fensterscheiben. Der Atompilz erreichte eine Höhe von 64 km und die durch die Explosion ausgelöste Druckwelle raste etwa zweieinhalb mal den Globus.
Die W-53 „Titan“, die größte bekannte von den USA an ihre Streitkräfte ausgelieferte Kernwaffe liefert gute Vergleichswerte. Zwar wurde sie 2011 ausgemustert und zerlegt, aber es ist davon auszugehen, dass sie mindestens gleichwertig ersetzt wurde. Sie verfügte über eine Sprengkraft von neun Millionen Tonnen TNT, also ein Fünftel der Vernichtungskraft der Tsar-Bombe.
Detoniert eine solche Waffe über dem Zentrum von Berlin, sterben in den ersten Minuten bereits mehr als ein- und eine halbe Million Menschen. Sie sterben durch den Feuerball, der im Radius von zwei Kilometern mit seinen Sternentemperaturen alles und jeden einfach verdampft; die Druckwelle, die in einem Radius von fünf Kilometern Stahlbetonpfeiler wie Streichhölzer knickt, meterdicke Wände zertrümmert, die meisten Gebäude zum Einsturz bringt, Menschen durch die Luft schleudert, ihre Trommelfelle platzen lässt und sie von den einstürzenden Gebäuden erschlagen lässt; die Wärmestrahlung, die mit einem Radius von über dreißig Kilometern weit über Potsdam hinausreicht und selbst noch an der Wirkungsperipherie zu Verbrennungen dritten Grades führt und auch noch in über vierzig Kilometer Entfernung (Beelitz, Storkow, Eberswalde) Fenster splittern lässt, Brände auslöst und Menschen durch die Lichtstrahlung erblinden lässt, wenn sie im Moment der Detonation in Richtung Berlin geblickt haben. Und über das ganze Gebiet rast dann noch ein sich durch die gewaltigen Turbulenzen selbst verstärkender Feuersturm.
Diese ersten mehr als eine Million toten Menschen werden die Glücklichen sein, denn das Leid, das die Überlebenden treffen wird, wird ungleich schlimmer. Mehr oder weniger langsam, in jedem Fall aber voller Qualen werden weitere Millionen Menschen elendig an der Strahlenkrankheit verrecken, die durch den Niederfall der radioaktiven Spaltprodukte (Fallout) hervorgerufen werden. Selbst in Bayern oder Mecklenburg-Vorpommern werden die Menschen nicht sicher sein, je nach Windrichtung. Aber nicht einmal damit endet es.
Ein Teil der Spaltprodukte der Detonation steigt in die höheren Schichten der Atmosphäre auf und wird hunderte, wenn nicht sogar tausende von Kilometern weiter getragen. Erde, Luft, Wasser und alle Nahrungsmittel werden zu Gift, das jeden umbringt oder schwer mit der Strahlenkrankheit schädigt.
Das ist die Wirkung einer einzigen modernen Kernwaffe. Detonieren hunderte, sorgen die in die Atmosphäre aufsteigenden und sich dort verteilenden Spaltprodukte für eine Verdunklung des Sonnenlichts. Schlagartig wird es kalt auf der gesamten Erde, eisig kalt. Nahrungsmittel können nicht mehr angebaut werden, Tiere verenden, nukleare Eiszeit. Die sog. Halbwertszeit, also die Zeit, nach der die Masse des strahlenden Materials durch seinen Zerfall sich um die Hälfte verringert hat, beträgt bei vielen Spaltprodukten mehrere tausend Jahre und so lange wird es dauern, bis die Erde wieder, wenn jemals überhaupt, Leben tragen kann.
Es scheint möglich, dass einige wenige Menschen in speziell dafür kilometertief in die Erde eingegrabenen Bunkern den ersten Schlag überleben können. Doch nicht für lange, auf gar keinen Fall über viele Generationen. Nicht zu vergessen dabei ist, dass es die gleichen Personen sein werden, die in den Bunkern überleben wollen, die selbst die Schuld an der Vernichtung der Erde tragen. Es erscheint wahrscheinlich, dass sie, wenn sie bereits auf der im Vergleich zur Enge solcher unterirdischen Refugien riesigen Erde ihre Machtgier nicht befriedigen konnten, es dort unten erst recht nicht können und sich auch dort selbst umbringen werden.
Nein, diese Kette kennt nur ein Ergebnis. Die erste Kernwaffe, die auf dem Territorium Russlands, Chinas, der USA und wahrscheinlich auch der Ukraine einschlägt, wird eine Spirale von Aktion und Reaktion in Gang setzen, die nicht aufzuhalten ist und an deren Ende die qualvolle Auslöschung der Menschheit steht. Vielleicht bleiben noch ein paar Einzeller oder Kakerlaken übrig. Sie werden sich herzlich wenig dafür interessieren, ob die Russen schuld waren, die Chinesen oder die Amerikaner.

Teil III: Das Gleichgewicht des Schreckens und warum es nicht mehr existiert

Viele Jahre lebten wir in einem Gleichgewicht des Schreckens. Es fundierte auf dem Wissen, dass der Einsatz von Kernwaffen die Menschheit vernichtet, und es war bisher die Klugheit der Mitglieder der Regierungen der Atommächte, die ob dieses Wissens den Einsatz von Atomwaffen und damit den Untergang der Menschheit nie als eine mögliche Handlungsoption betrachtet haben.
Doch die Zeiten ändern sich und heute gibt es Menschen, die einen Atomkrieg für gewinnbar halten. Sie tragen teure Anzüge und Kleider, maßgeschneiderte Uniformen, sitzen hinter dicken Schreibtischen und verfassen Artikel darüber, dass Milliarden tote Menschen nur ein kleines Opfer für die Verteidigung der Freiheit seien. Kameras sind auf sie gerichtet und Mikrophone zeichnen jedes Hüsteln auf und die Frage, ihre Klugheit wirklich noch immer die eines John. F. Kennedy und eines Nikita Chrustchov ist, drängt sich förmlich auf.
Die USA schließen in ihren neuen Militärdoktrinen den Einsatz von Kernwaffen nicht aus, auch nicht als Erstschlag, und haben Teile ihrer Truppen rund um die Ukraine stationiert. Russland formuliert eindeutig, dass es seine Grenzen, auch die neu gezogenen mit den ehemaligen Gebieten in der Ukraine, notfalls auch mit dem Einsatz von Kernwaffen verteidigen wird. Es braucht nur noch ein Streichholz, um das atomare Feuer zu entflammen, und die Anzeichen mehren sich, dass deutsche Politiker nur zu gerne bereit sind, die Rolle dieses Streichholzes zu übernehmen.
Teile der deutschen Medien und Angehörige des Deutschen Bundestages gießen täglich weiteres Öl ins atomare Feuer. Wie auch die Ukraine, haben die deutschen Grünen, die SPD und Teile der AfD amerikanische Atomwaffen für Deutschland (also für sich) gefordert und die Verfügungsgewalt darüber. Es würde bedeuten, die Verantwortung für die Weiterexistenz der Menschheit, für Ihr Leben, das Ihrer Kinder und Kindeskinder in die Hände von Karl Lauterbach, Robert Habeck, Ricarda Lang, Roderich Kiesewetter und Marie-Agnes Strack-Zimmermann zu legen, bedeutet, die sicherlich perfekt gepflegte Hand von Annalena Baerbock auf dem roten Knopf.
Deutsche Politiker haben gerade in der jüngsten Vergangenheit oft genug bewiesen, wie wenig sie von der Realität, der sich die mehr als achtzig Millionen Menschen täglich stellen müssen, verstehen. Für das Lenken von Staaten und Völkern ist eine vernünftige Schulbildung und Kenntnis der Kernphysik nicht erforderlich. Teure Anzüge und Kleider zu tragen und maßgeschneiderte Uniformen; hinter Schreibtischen zu sitzen und mit einem abgebrochenen Studium von „irgendetwas Soziales“ Reden darüber zu verfassen oder verfassen zu lassen, dass das nur ein kleines Opfer für die Verteidigung der Freiheit sei, sind wichtig und erforderlich. Ein Handy mit möglichst großer Kontaktliste bedienen zu können, Netzwerke zu bilden, sich Machtpositionen zu sichern und zu verhandeln, zu kaufen und (sich) gut verkaufen zu können, Gefallen erweisen und Gefallen einfordern sind es. An der richtigen Stelle klatschen und Buh-Rufe ausstoßen gehört auch dazu, ebenso wie das Wissen um Länder, die hunderttausende Kilometer entfernt sind, Köpfe, die sich um dreihundertsechzig Grad drehen können und über Firmen, die nicht insolvent gehen, sondern einfach nur aufhören zu produzieren. Für das Wissen um Atombomben und was sie anrichten, gibt es „die Wissenschaft“, die, wenn sie weiter Geld bekommen und Bedeutung erlangen will, nicht durch übermäßige Informationswut glänzen sollte.
Karl Marx hat festgestellt: „Das Sein bestimmt das Bewusstsein.“ Wer in den Korridoren der Macht wandelt oder dort sogar hineingeboren wurde, umgeben von jedem nur denkbaren Luxus, Tag und Nacht bewacht und geschützt (auch vor zu viel Information), hat kein Bewusstsein mehr für die Realität des tatsächlichen Lebens, das „Sein“ der Anderen. Er fühlt sich unbesiegbar, unangreifbar und unverwundbar. Die einzige Gefahr, die solche Menschen fürchten, sind diejenigen, die ebenso in den Korridoren der Macht wandeln wie sie. Dass ein Atomkrieg auch von Washington, New York, London, Paris, Berlin und jeder privaten Festung nur noch Asche übrig lässt, ist vollkommen außerhalb ihres Vorstellungsvermögens.
Für Medien gilt mittlerweile Selbiges. Die Vermittlung von Fachwissen und überprüfbaren Fakten, also der Realität und ihrer wahrheitsgetreuen Darstellung, ist nicht mehr unbedingt der Renner, neutrale Information des Lesers und Zuschauers schon gar nicht. Haltung ist, was zählt und da reicht es, wenn man berichten kann, wie in Afrika Fernseher aus der Luft Strom produzieren und damit angeblich ein ganzes Haus versorgen, dass die Klimakatastrophe die Menschen bereits vor zehn Jahren hat verglühen lassen, der Gardasee austrocknet und das Eis der Antarktis schon so gut wie abgeschmolzen ist. Auch hier scheinen diejenigen, die einen Atomkrieg herbeischreiben, zu glauben, dass er um ihre Kinder und ihre Redaktionsstuben einen Bogen machen wird. Dass sich die meisten Medienzentralen in Deutschland in Hamburg, München, Berlin und Frankfurt befinden, dürfte bei der Zielauswahl für russische Kinschal-Hyperschallraketen, die mit Sicherheit eben jene Städte im Visier haben werden, eine eher untergeordnete Rolle spielen. Eine Rolle spielt hingegen, dass diese Raketen (wie in der Ukraine demonstriert) auch durch amerikanische Systeme nicht abgewehrt werden können und sie auch dann noch abgefeuert und ihre Ziele erreichen werden, wenn der Erstschlag der Gegenseite längst erfolgt ist.
Ich hoffe sehr, dass auch in einhundert Jahren auf unserer Erde noch Kinder lachen, Menschen sich lieben und unser wunderschöner, unwiederbringlicher Planet genau das ist: ein Ort, der Leben spendet und es erhält. Nichts wünsche ich mir mehr, als dass die Menschen, die ich liebe, ruhig schlafen können. Doch es wird niemand kommen, der uns die Verantwortung abnimmt, selbst dafür zu sorgen, niemand, der ein Machtwort gegen diesen selbstzerstörerischen Irrsinn spricht. Das können wir nur selbst tun.
Den Fernseher zu ignorieren, wäre eine Möglichkeit. Miteinander reden und dem Anderen zuzuhören, auch. Selbst dann, wenn er nicht geimpft ist, einen russischen Akzent hat, nur zwei biologische Geschlechter für wahr hält und sogar dann, wenn er der Ansicht ist, die Erde wäre eine Scheibe. Selbst mit Menschen ohne Kopfbehaarung kann man reden, denn nur so erfährt man, ob sie Glatzen sind oder nur eine haben. Denn bei allem, was uns unterscheidet und mit dem man uns auseinanderdividieren will, gibt es doch etwas, dass uns alle eint und dass wir seit unserer Geburt in uns tragen: Wir wollen leben!

Müssen wir dafür wirklich erst im Weltall nach Vernunft suchen?


[aus: Eberhardt del‘ ANTONIO: Titanus. Zukunftsroman, Verlag: Das Neue Berlin, 1959]:

„… Auch Stafford starrte auf das Bild des sterbenden Planeten. Er kannte die Wirkung der Atomkräfte genau. In siebzig Kilometer Umkreis fegte die Druckwelle einer einzigen Detonation alles hinweg, entflammte die Glutwelle alles Brennbare, vernichtete die Strahlung alles Lebende. In einhundertvierzig Kilometer Umkreis wirbelten entwurzelte Bäume durch die Luft, zerbarsten die Bauten, brachen Masten. Über dieses Chaos der Trümmer und zerfetzten Leiber raste dann die mörderische Glut, und die Strahlung versengte alles, was noch atmete. Bis zweihundertachtzig Kilometer im Umkreis blieb Todesgefahr durch die Strahlung, gab es Brände durch die Glut, Zerstörungen durch den Druck.
Stafford schloß die Augen, doch die Bilder verfolgten ihn. Er sah Lebewesen in Menschengestalt, die zu Staub vergingen, die wie Fackeln aufflammten oder denen das Fleisch bei lebendigem Leibe vom Skelett fiel. Er hörte Stahl zerreißen, Beton brechen, meterdicke Stämme splittern. Keiner war sicher, keiner blieb verschont, denn der strahlende Staub drang in alle Ritzen, vergiftete die Luft und das Wasser und würde den letzten Titanen finden, wohin er sich auch flüchtete.
Stafford war fast wahnsinnig. Die Erde! Wenn die Erde das gleiche Schicksal träfe — er hatte sie nicht gewarnt!
Um seinen Visionen zu entgehen, öffnete er die Augen. Auf dem Bildschirm wuchsen hutförmige Gebilde aus der Wasserfläche des titanischen Meeres. Sie sahen zierlich aus, mußten aber Hunderte von Kilometern hoch sein. Er zitterte am ganzen Körper. Nahm denn das Grauen kein Ende? Wenn Sprengköpfe mit Zeitzünder darunter waren, die erst auf dem Meeresboden zündeten, dort, wo der Druck kilometerhoher Wassermassen die Materie verdichtete. Der Wasserstoff des Meeres mußte sich entzünden. Unermeßliche Wassermassen würden sich in Helium umwandeln, wobei je Gramm neuentstandenen Heliums eine Wärmemenge frei würde, wie man sie durch das Verbrennen von eineinhalb Eisenbahnwagen hochwertiger Kohle gewinnt. Atombrand sagte man dazu, und das hieß: sich selbsttätig fortsetzende, unkontrollierbare und unaufhaltsame Kettenreaktion, anwachsend wie eine Lawine.
Auf dem Bildschirm wuchsen noch immer die hutförmigen Gebilde aus dem titanischen Meer. Plötzlich schoß eine flammende Wassersäule zwischen ihnen empor, dehnte sich aus, verschlang die andern Gebilde, wuchs und wuchs. Das Meer bäumte sich auf und begann zu brennen. Das Feuer trat über die Ufer und raste über den Kontinent. Der Bildschirm zeigte eine glühende Kugel. …“

Rainer Sonnberg, März 2024
(I’m just a truckle. But i don’t like to truckle!)

Image by Gerd Altmann from Pixabay


Verfasst 8. November 2022 von Rainer Sonnberg in category "Im Übrigen bin ich der Meinung ...

1 COMMENTS :

  1. By Allonso on

    Das Weltall und die menschliche Dummheit sind unendlich meinte er ,
    nur beim Weltall hatte er so seine Zweifel.

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