Schlussakkord

Die Wahrheit ist nicht das, was ihr wollt, dass sie ist. Sie ist das, was sie ist und ihr müsst euch ihrer Macht beugen oder eine Lüge leben.
Miyamoto Musashi

In meinen dreizehn Jahren als Offizier der NVA wurde ich ausgebildet, Menschen zu töten. Diese Kenntnisse habe ich an meine Unterstellten weitergegeben. Heute, mehr als dreißig Jahre später, bin ich dankbar dafür, dass ich nie vor der Notwendigkeit stand, eine Waffe auf einen Menschen richten zu müssen. Das nach der Wende folgende Leben hat mich gelehrt, den Gebrauch von Waffen jeder Art gegen Menschen aus tiefstem Herzen zu verabscheuen. Ebenso wie die Menschen, die das anders sehen und vor allem diejenigen, die es mit einem Federstrich, dem simplen Drücken eines Knopfes oder einem gegebenen Befehl initiieren.
Und dann ist da noch Clausewitz:

Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.

 

Die Leute erklären damit, wie es zu Kriegen kommt, und können gut schlafen. Ich kann es nicht, weil ich immerzu diesen Satz vom Kopf auf die Füße stellen muss und er dann so aussieht:

Das schlimmste aller denkbaren Verbrechen ist die Folge politischer Entscheidungen.

Was ist eine Politik wert, die zum Krieg führt? Einen Fliegenschiss. Was sind Politiker wert, deren Handeln und deren Entscheidungen Kriege nicht nur nicht verhindern, sondern geradezu provozieren? Was sind Menschen wert, die Politiker an die Macht bringen, die aus Dummheit, Machtgeilheit oder in wohlwissender Absicht Kriege provozieren? Was sind Völker wert, die ihr Leben und die Existenz ihrer Kinder, ja die Existenz der gesamten Menschheit in die Hände von Menschen wie Baerbock, Habeck, Lauterbach, von der Leyen oder Biden legen und deren Entscheidungen anbeten, als käme sie von Gott persönlich?

Bis in die jüngere Vergangenheit gab es auf dem Schlachtfeld nur Verlierer. Die wirklichen Gewinner eines Krieges haben sich nie auf dem Schlachtfeld sehen lassen. Sie sind es nicht, die in einem Krieg sterben. Sie lassen nur sterben. Wer die Welt nur aus dem gepanzerten Innern von Luxuslimousinen wahrnimmt, auf sie aus den Fenstern von Privatjets herabsieht und ein Leben in von privaten Armeen geschützten Refugien führt, sieht die Welt nicht, wie sie ist, sondern wie er sie gerne hätte und sich selbst als unantastbar, unangreifbar und unhinterfragbar. Gut möglich, dass dieses immerwährende Gefühl der Unantastbarkeit sich bis in die heutige Zeit erhalten hat.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Meine ersten schlaflosen Nächte hatte ich, als die NATO mit deutscher Beteiligung Jugoslawien auseinanderbombte. Man musste kein geopolitisches Genie sein, um zu wissen, was danach kommen würde. Ein bisschen gesunder, nicht von Radio, Fernsehen und Zeitungen verkleisterter Menschenverstand hätte genügt. Doch der war schon damals ein Auslaufmodell. Jugoslawien ist weit weg, und solange noch Geld aus dem Bankomat kommt und der Rasenmäher vor dem kreditfinanzierten Häuschen schnurrt, ist doch alles in Ordnung. Die Ukraine 2013 und 2014 und ein paar Jahre später Syrien waren nur die logische Fortsetzung einer Weltpolitik, die eindeutig auf eine Konfrontation der Großmächte hinauslief. Es ist vollkommen unerheblich, welches Land daran schuld ist und wer die Konfrontation angeheizt hat. Erheblich ist, dass die Politik entweder alles in ihren Kräften Stehende getan hat, diese Konfrontation zu befeuern oder da, wo sie es nicht getan hat, nicht entschieden genug ihr entgegengewirkt hat. Da war doch etwas? Ah, ja, das hier:

Außenpolitik ist Weltinnenpolitik.
Annalena Baerbock

Schöne Worte, oder? Davon gibt es so viele. Doch wo sind die Taten? Ich korrigiere mich also, denn Politik ist zu anonym: Politiker und die hinter ihnen Stehenden, zunehmend dabei assistiert von potentiellen Schreibtischmördern an Computertasturen, Millionen von wiederauferstandenen Diederich Heßlings, Beamten und Möchtegern-ich-bin-wichtig. Früher war Journalist einmal ein hochangesehenes Berufsbild, genau wie das eines Arztes … Es tut so gut, auf der richtigen Seite zu stehen, Haltung zu zeigen und in der Masse mitzulaufen. 

Ich bin auch nicht besser und der einzige Unterschied ist wahrscheinlich der, dass ich auch nichts Besseres sein will. Gestern war auch ich feige. Nach fünf Monaten 2G-Regel konnte ich das erste Mal wieder Bowling spielen. „Man hört gar nichts mehr von dir“, wurde ich angesprochen von jemandem, den ich schon seit vielen Jahren kenne und mochte. „Ist etwas?“
„Frag mich etwas anderes“, antwortete ich. „Ich will dich nicht verletzen.“ Gott war ich höflich. Wieder einer der Momente, in denen ich mich selbst hätte ankotzen können. Aber was hätte es ihm genutzt – und mir natürlich auch – wenn ich ihm die korrekte Antwort gegeben hätte? Er ist klug, gebildet, kommt mit dem Leben klar, hat alles im Griff. Putin ist der Feind der Menschheit, die Spritze die Erlösung und selbst schuld, wer nicht im Strom mitschwimmt. Er hätte nicht verstanden, wenn ich ihm erklärt hätte, dass der Strom gerade austrocknet und es Mitläufer und Hauptsache-mit-dem-Arsch-an-die-Wand wie er sind, die es möglich machen. Ein paar Mal habe ich es versucht in den letzten Jahren, bei ihm, bei anderen, beim Sport und bei der Arbeit. Eisiges Lächeln, ein Bogen, den man seitdem um mich macht, und Abmahnungen in diversen Internetforen waren der Erfolg. So ist es denn zweiseitig. Und wenn ein Jens Spahn behauptet:

… wir werden in der Corona-Krise einander viel verzeihen müssen.

sage ich: einen Scheiß muss ich und deswegen werde ich es auch nicht tun. Vergeben und vergessen? Niemals! Ich habe mir auch angewöhnt, diesen Bogen zu machen. Zivilisiert und gebildet schimpft sich die moderne Welt. Echt jetzt? Lächelnde oder beißende und bellende, aber in jedem Fall dressierte Hunde voller kriecherischer Unterwürfigkeit, vorauseilendem Gehorsam und der Unfähigkeit, auch nur einen einzigen eigenständigen Gedanken außerhalb des erlaubten gesellschaftlichen Meinungskorridors zu entwickeln. Davon, ihn zu äußern, ganz zu schweigen. Nett, umgänglich, verträglich. Jeder Tage hat Struktur, weil schon beim Aufwachen klar ist, wo der Feind ist: der, der Dinge sagt, die man nicht sagen darf; der hinterfragt, der warnt, der die heile Welt in Frage stellt. Auf den muss man einschlagen, darf man ja auch, man gehört ja zu den Guten … Zwar gibt es davon, wie von jeder Regel, Ausnahmen, offenbar aber zu wenige, sonst wären wir nicht da, wo wir jetzt sind.

Danke, brauche ich nicht mehr. Meine Kämpfe habe ich hinter mir. Don Quichotte muss ich nicht mehr geben, das hatte ich 1985. Fünf Jahre gegen den Strom, als hätte ich Lepra. Ich suche mir einen Logenplatz, etwas abseits von Gottes misslungenem Experiment und schaue mir das Finale an. Die Natur kennt keine Katastrophen, sie kennt nur Veränderung. Eine solche steht dem Universum bevor und eine bessere Beschreibung, als sie 1958 Eberhard del‘ Antonio in „Titanus“ geliefert hat, wird es davon wohl nicht mehr geben:

Auch Stafford starrte auf das Bild des sterbenden Planeten. Er kannte die Wirkung der Atomkräfte genau. In siebzig Kilometer Umkreis fegte die Druckwelle einer einzigen Detonation alles hinweg, entflammte die Glutwelle alles Brennbare, vernichtete die Strahlung alles Lebende. In einhundertvierzig Kilometer Umkreis wirbelten entwurzelte Bäume durch die Luft, zerbarsten die Bauten, brachen Masten. Über dieses Chaos der Trümmer und zerfetzten Leiber raste dann die mörderische Glut, und die Strahlung versengte alles, was noch atmete. Bis zweihundertachtzig Kilometer im Umkreis blieb Todesgefahr durch die Strahlung, gab es Brände durch die Glut, Zerstörungen durch den Druck.
Stafford schloß die Augen, doch die Bilder verfolgten ihn. Er sah Lebewesen in Menschengestalt, die zu Staub vergingen, die wie Fackeln aufflammten oder denen das Fleisch bei lebendigem Leibe vom Skelett fiel. Er hörte Stahl zerreißen, Beton brechen, meterdicke Stämme splittern. Keiner war sicher, keiner blieb verschont, denn der strahlende Staub drang in alle Ritzen, vergiftete die Luft und das Wasser und würde den letzten Titanen finden, wohin er sich auch flüchtete.
Stafford war fast wahnsinnig. Die Erde! Wenn die Erde das gleiche Schicksal träfe — er hatte sie nicht gewarnt!
Um seinen Visionen zu entgehen, öffnete er die Augen. Auf dem Bildschirm wuchsen hutförmige Gebilde aus der Wasserfläche des titanischen Meeres. Sie sahen zierlich aus, mußten aber Hunderte von Kilometern hoch sein. Er zitterte am ganzen Körper. Nahm denn das Grauen kein Ende? Wenn Sprengköpfe mit Zeitzünder darunter waren, die erst auf dem Meeresboden zündeten, dort, wo der Druck kilometerhoher Wassermassen die Materie verdichtete. Der Wasserstoff des Meeres mußte sich entzünden. Unermeßliche Wassermassen würden sich in Helium umwandeln, wobei je Gramm neuentstandenen Heliums eine Wärmemenge frei würde, wie man sie durch das Verbrennen von eineinhalb Eisenbahnwagen hochwertiger Kohle gewinnt. Atombrand sagte man dazu, und das hieß: sich selbsttätig fortsetzende, unkontrollierbare und unaufhaltsame Kettenreaktion, anwachsend wie eine Lawine.

Auf dem Bildschirm wuchsen noch immer die hutförmigen Gebilde aus dem titanischen Meer. Plötzlich schoß eine flammende Wassersäule zwischen ihnen empor, dehnte sich aus, verschlang die andern Gebilde, wuchs und wuchs. Das Meer bäumte sich auf und begann zu brennen. Das Feuer trat über die Ufer und raste über den Kontinent. Der Bildschirm zeigte eine glühende Kugel.

Verdammt, wenn mir einer eine Kanone an den Kopf hält, dann gebe ich ihm, was er will und danach sehe ich weiter. Genau das ist die momentane Situation: der Lauf ist auf die Menschheit gerichtet, der Hahn gespannt und der Finger nimmt gerade Druckpunkt am Abzug. Das ist kein Videospiel und auch kein Blockbuster aus Hollywood, sondern unsere Zukunft, wenn dieses „Stärke demonstrieren“ nicht endlich aufhört. Darum noch einmal: Was sind Politiker wert, deren Handeln und deren Entscheidungen Kriege nicht nur nicht verhindern, sondern geradezu provozieren? Deren Verständnis von Diplomatie in etwa so tief ist wie ein Suppenteller und in der Beschwerde gipfelt, dass sie keinen angemessenen Sitzplatz abbekommen haben? Was sind Menschen wert, die Politiker an die Macht bringen, die aus Inkompetenz, Machtgeilheit oder in wohlwissender Absicht Kriege nicht verhindern? Was sind wir selbst wert, dass wir das zulassen? 

Nichts, und so löst sich das Problem dann wohl bald von alleine. Das Gute? Ich kann endlich wieder richtig schlafen. Das Problem der Erderwärmung hat sich erledigt, keine Gendersterne mehr, die bösen Nazis sind weg, Corona auch, keine Energiewende und tatsächlich keine Spritzen mehr. Mein Gott, was für eine geniale Lösung. Ein kleiner Atomkrieg, und alle Probleme sind gelöst. Warum sind wir nicht früher darauf gekommen? Nur die Schuldfrage wird leider nie geklärt werden. Ist ja schließlich wichtig, zu wissen, wer am Weltuntergang Schuld trägt, oder? Für solche Fälle hinterlassen wir den dann vielleicht überlebenden Mikroorganismen den Joker: Die Russen waren es. Der geht immer.

Gute Nacht!

RHCSo, März 2022

 

Bild von intographics auf Pixabay

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