Sie nannten ihn Jack
Er war eine Mischung aus einem Schäferhund und einem Rottweiler. Eine 50 Kilogramm schwere Waffe auf vier Pfoten, so einfach und sicher handhabbar wie Nitroglycerin. Es war Liebe auf den ersten Blick. Das zu einem Zeitpunkt, wo ich alles gebrauchen konnte, nur nicht die Liebe, dachte ich. Ich wurde gewarnt. Er sei gefährlich, nicht beherrschbar, unberechenbar und nicht sozialisiert. Doch gegen diese großen braunen Augen war ich machtlos …
Ich erinnere mich noch gut an den Tag zu Hause, als ich das erste Mal einen Besen in die Hand nahm, um die Küche zu fegen. Er stieß einen spitzen Schrei aus – ja, auch fünfzig Kilogramm schwere Hunde können schreien – sprang mit allen vier Pfoten rückwärts in die Luft, urinierte und lag zusammengekrümmt und zitternd in seiner eigenen Nässe und jaulte leise.
Sein ganzes erstes Lebensjahr war er in Isolationshaft gehalten und geprügelt worden, wenn er sich nicht so verhalten hatte, wie sein Herr es wollte und der hatte auch verhindert, dass er unter seinesgleichen spielen konnte. So hatte Jack nie gelernt, was Freundschaft und Geselligkeit ist, weil man das nur unter seinesgleichen lernt, und deshalb betrachtete er jeden Fremden, ja sogar jeden anderen Hund als Feind. Jeder Schatten, jede unverhoffte Bewegung beim Spazierengehen ließ ihn entweder zitternd stehenbleiben oder angreifen, das ohne Warnung und ohne einen Grund, den die meisten Menschen hätten verstehen können. Kam jemand mit einem Regenschirm oder einem Krückstock daher, wurde Jack so rasend vor Wut, dass selbst ich ihn kaum halten konnte.
Mir hat er nie etwas getan, außer mein Herz mit Liebe zu füllen. Wo ich ging, saß oder lag, war er immer in der Nähe, unaufdringlich, aber stets präsent. Alles hat er geduldig ertragen: Mein langes Fernbleiben, die Zeiten, in denen ich nicht genug hatte, uns beiden gleichzeitig Futter zu kaufen, ja er hätte es wahrscheinlich sogar ertragen, wenn ich ihn geprügelt hätte, wie es sein Vorbesitzer getan hatte. In zehn Jahren ist es mir gelungen, mit der gleichen Liebe, die er mir entgegengebracht hat, die meisten seiner Traumata abzuschwächen. Ganz beseitigen konnte ich sie nie. Sie hatten sich in einer Zeit in seine Seele gefressen, in der jedes Wesen für den Rest seines Lebens geprägt wird.
Als er gegangen ist, hat er ein riesiges schwarzes Loch in meinem Herzen hinterlassen und auch eine Frage, die sich mir jedes Mal aufs Neue aufdrängt, wenn ich die Nachrichten aus aller Welt sehe: Werden nur Hunde so, wenn man sie wegsperrt, sie drangsaliert und ihnen die Freiheit nimmt?
RHCSo, Jan. 2021
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